Mitten in Bergedorf ist im Jahr 1972 ein Objekt aus einer neuen Zeit gelandet - die Fachhochschule Bergedorf, ein herausragendes Beispiel des Brutalismus. Noch ist unbekannt, was nach dem geplanten Auszug der Fachhochschule um 2030 mit dem beeindruckenden Bauwerk passieren soll.

Die 1970er Jahre waren goldene Jahre des Hochschulbaus. Allein die Universität Hamburg verdoppelte im dicht bebauten Rotherbaum ihre Nutzfläche binnen weniger Jahre. Zum Wachstum der Universität kamen noch zwei Neugründungen: Die Fachhochschule (FH, heute: Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW) im Jahre 1970 und die (von der FH damals als Konkurrenz empfundene) Technische Universität Hamburg-Harburg im Jahr 1978.

Die Gründung der Fachhochschulen war ein von Bund und Ländern abgestimmter Plan: 1968 beschlossen die Ministerpräsidenten, die Ingenieurschulen und höheren Fachschulen zu Fachhochschulen zusammenzuführen. So sollte Schülern mit dem Abschluss der 12. Klasse ein praxisorientiertes Studium auf wissenschaftlicher Grundlage mit Graduierung ermöglicht werden. 1970 verabschiedete die Hamburger Bürgerschaft das Gesetz über die Fachhochschule Hamburg. 13 verschiedene, bisher selbständige Schulen wurden so zu Fachbereichen der Fachhochschule Hamburg. Die Vereinigung fand statt, die unterschiedlichen Standorte blieben, und die FH war mit neun Standorten über die ganze Stadt verteilt. Sie wurden teilweise mit großem Aufwand ausgebaut oder neu aufgebaut.

Eines der gewaltigsten Unterfangen war der Bau der Fachhochschule Bergedorf für Produktions- und Verfahrenstechnik (heute: Fakultät Life Science). Wie eine gewaltige Raumschiffarmada liegen die von den Architekten Graaf + Schweger entworfenen, 1972 fertiggestellten langgezogenen Riegel inmitten einer beschaulichen Einfamilienhausidylle. Im Inneren dann die Überwältigung: ein Meisterwerk des Brutalismus, im Originalzustand erhalten! Man möchte endlos wandeln allein durch die gewaltige, weite Eingangshalle: béton brut, wohin das Auge schweift – Wände, Stützen, Kassettendecken, Treppenhausskulpturen bilden ein graues, schalungsraues Gesamtraumkunstwerk, wie es in Hamburg kein zweites gibt. Nur wenige rote, blaue und gelbe Streifen setzen Farbakzente. Und die Details! Allein wie die metallenen Handläufe in die gefrästen Schlitze im Beton der Treppenbrüstungen eingelassen wurden, ist ein Delikatesse für sich. Doch damit nicht genug: Auch Flure, Hörsäle, Seminarräume und die Kantine sind weitestgehend so belassen, wie sie einst geschaffen wurden. Die Fachhochschule Bergedorf ist eine Beton gewordene Utopie – nicht allein eine architektonische, sondern auch eine gesellschaftliche. Die Offenheit und Weite dieser Räume prägen jeden, der hier studieren oder lehren darf. Freies Denken, hier ist es möglich! Möge sich das niemals ändern.

(Text aus "Architektur in Hamburg, Jahrbuch 2019/2020")

Fotos: Martin Kunze